Dass ChatGPT die HR-Arbeit revolutionieren wird, lesen wir so gut wie jeden Tag. Aber welche Effizienzgewinne gibt es ganz konkret für die Talentakquise? Welche Use Cases gibt es für die Nutzung von ChatGPT entlang des Hiring Funnels?
Um diese Fragen zu beantworten, habe ich Madeline Timmer für ein Interview eingeladen, eine Expertin im Recruiting und Personalmarketing mit über 10 Jahren Erfahrung. Als Vice President Employer Marketing bei HeyJobs nutzt sie künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen, um Stellenanzeigen optimal für Kandidat:innen auszuspielen. Madeline hat frühzeitig ChatGPT getestet und teilt in diesem Interview ihre Erfahrungen damit.
Clara (talentsconnect): Madeline, welche Anwendungsmöglichkeiten für ChatGPT sollte jeder HRler kennen?
Madeline: Grundsätzlich kann ChatGPT bei jeder Art von Kommunikation unterstützen. Und HR ist Kommunikation! Deshalb gibt es unzählige Use Cases. Wenn wir uns einmal am Hiring Funnel entlanghangeln, gebe ich dir einige besonders hilfreiche Beispiele:
Im Bereich Talent Attraction kannst du ChatGPT nutzen, um Employer Branding Inhalte auf den relevanten Kanälen für deine Zielgruppe zu kommunizieren. Zum Beispiel kannst du dir Blogartikel für deine Website verfassen lassen oder Anzeigentexte für die Bewerbung von Stellenanzeigen auf Social Media schreiben lassen.
Im Bereich Talent Acquisition kannst du potentielle Bewerber:innen in Stellenanzeigen und der Direktansprache passgenau abholen. Wir lassen uns gerne Nachrichten vorschreiben, die wir auf Business Netzwerken wie LinkedIn an Talente verschicken oder Einladungstexte für Interviews verfassen.
Für die Bewerberauswahl kann ChatGPT bei vielen Fragen rund um die notwendigen Qualifikationen und die Passung der Bewerber:innen unterstützen. Zum Beispiel kann ChatGPT Interviewfragen vorschlagen oder bei der schriftlichen Vorstellung von geeigneten Kandidat:innen an den Hiring Manager helfen.
Clara (talentsconnect): Das ist schon eine ganze Menge Support. Gibt es auch Themen, bei denen du von der Nutzung von ChatGPT abrätst?
Madeline: Die Grenzen liegen da, wo du Logik, Rechtswissen oder auch Empathie anwenden musst, um gute Entscheidungen zu treffen und um Strategie auszuformulieren. Nur du selbst kennst den gesamten Kontext in deinem Unternehmen und weißt, wie deine Mitarbeiter:innen ticken.
Clara (talentsconnect): Kann mir ChatGPT denn auch bei der Entwicklung der HR Strategie helfen?
Madeline: Die künstliche Intelligenz kann in der Tat bei der Strukturierung und Ausformulierung der HR-Strategie helfen. Sie kann Leitfäden, Tipps und Best Practices anbieten und Fragen rund um das Thema HR-Strategie beantworten. Dabei ist es immer wichtig, dass ich die von ChatGPT gegebenen Informationen an meine spezifischen Bedürfnisse und den Kontext meines Unternehmens anpasse.
Da ChatGPT nicht spezifisch auf die individuellen Bedürfnisse und Umstände meines Unternehmens eingehen kann, ist die Rolle von ChatGPT eher die eines Beraters, der mir einen Startpunkt und eine allgemeine Richtung bietet, anstatt mir eine fertige Lösung zu liefern.
ChatGPT löst aber in jedem Fall mein sogenanntes “Blank Paper Problem”, denn es gibt mir ein Gerüst, an dem ich mich orientieren kann. Du sitzt also nie wieder vor einem leeren Blatt Papier, weil du immer einen ersten Impuls bekommst, den du weiterentwickeln kannst.
Clara (talentsconnect): Ganz konkret: Wie schreibt man gute Anfrage (Prompts)? Worauf sollte man achten?
Madeline: ChatGPT ist ein Sprachmodell und kein Wissensmodell. Deshalb hängt die Qualität der Antworten stark von präzisen, klar strukturierten Anfragen ab, die auch individuelle Informationen enthalten. Das Erlernen und Anwenden richtiger Konversationstechniken verbessert die Effektivität des Modells.
Zitat: “Was du an Individualität nicht in die Anfragen bei ChatGPT reinkippst, bekommst du in den Ergebnissen auch nicht zurück.”
Ganz konkret sind bei Prompts diese Aspekte wichtig:
- Rollen: Gute Prompts geben ChatGPT eine Rolle und ein Ziel.
- Kontext: Der relevante Kontext sollte in der Anfrage stehen.
- Reflexion: Es kann hilfreich sein, ChatGPT zu bitten, die Ergebnisse zu erklären und nach fehlenden Informationen zu fragen.
- Variationen: Eine iterative Überarbeitung der Anfragen verbessert die Qualität.
Clara (talentsconnect): Welche Risiken siehst du bei der Nutzung von ChatGPT? Wo sollte man vorsichtig sein?
Madeline: Zunächst kann ChatGPT soziale, kulturelle, politische oder geschlechtsspezifische Vorurteile enthalten. Auf diese “Biases” sollte man bei der Nutzung achten und sie aktiv korrigieren. Außerdem kann ChatGPT plausible und richtig klingende, aber falsche Aussagen treffen. Deshalb ist es wichtig, die Fakten zu überprüfen, um keine Fehlinformationen zu verbreiten.
Insgesamt würde ich empfehlen, per se keine unternehmensbezogenen oder personenbezogenen Daten an das Modell zu geben. Alle frei im Internet verfügbaren Daten kann ich natürlich nutzen.
Clara (talentsconnect): Wenn HR-Manager:innen oder Recruiting-Verantwortliche bisher noch gar nicht mit ChatGPT arbeiten: Was sind die drei ersten Dinge, die du ihnen empfehlen würdest?
Madeline:
- Als ersten Schritt würde ich mich innerhalb meines Unternehmens mit den verantwortlichen Abteilungen zusammensetzen und besprechen, wie wir intern mit dem Tool umgehen wollen. Dazu gehören vermutlich das Management, die Rechtsabteilung und die IT.
- In Schritt zwei würde ich mich selbst aufschlauen, weiterbilden und praktisch ausprobieren. Dafür muss ich mir aktiv Zeit einräumen. Man hat nicht sofort die Effizienzsteigerung, die man sich wünscht. Vielmehr ist es ein Lernprozess, bei dem man kleine Schritte in Richtung Produktivität macht und immer mehr Use Cases für sich und sein Team identifiziert.
- Als dritten Schritt würde ich mein Team an Bord holen. Bei HeyJobs haben wir Champions ausgewählt, die das Thema in den Teams weiter pushen. Gemeinsam mit dem Team kann man verschiedene Use Cases identifizieren und sich fragen: Was machen wir gerade für Tätigkeiten jede Woche? Welche Tätigkeiten sind besonders zeitaufwändig? Bei welchen Themen können wir vermutlich vom Einsatz von ChatGPT profitieren und durch wenig Aufwand einen hohen Impact erzielen? Dort würde ich ansetzen und den Ergebnissen immer wieder in Teammeetings eine Bühne geben und Learnings teilen. Es kommen ja aktuell sehr viele produktivitätssteigernde Tools auf den Markt, die KI nutzen. Im ersten Schritt würde ich mich auf ChatGPT ohne weitere Extensions konzentrieren, um es weniger kompliziert zu machen.
Clara (talentsconnect): Wo kann ich mehr lernen?
Madeline: Also, es gibt natürlich auf Portalen wie YouTube schon unglaublich viel Material dazu, es gibt bereits einige Whitepaper und auf allen Fachkonferenzen werden Vorträge gehalten.
Bei HeyJobs haben wir gemeinsam mit Experten wie Daniel Mühlbauer und Robindro Ullah die Recruiting Akademie für KI gegründet, wo wir unter anderem unsere Prompting School, diverse Webinare sowie E-Paper zum Thema KI und ChatGPT im Recruiting verankert haben. Diese findet ihr hier: https://hubs.li/Q01Z4FFn0
Clara (talentsconnect): Liebe Madeline, vielen Dank für das Interview!
Madeline: Ebenfalls. Bei Fragen oder Feedback bin ich sehr gespannt auf einen Austausch! Ihr findet mich bei LinkedIn.
Weitere Quellen:
D2T Podcast – ChatGPT erfolgreich in der Talentaquise nutzen